Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, das heißt, Forderungen, deren Höhe 2000 EUR nicht überschreitet, gilt für grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen. Das Verfahren ist ab 2009 in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks anwendbar und steht den Bürgern als Alternative zu den in den Mitgliedstaaten bestehenden innerstaatlichen Verfahren zur Verfügung.

RECHTSAKT

Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen.

ZUSAMMENFASSUNG

Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen soll einen besseren Rechtsschutz ermöglichen, indem die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen erleichtert wird und die Kosten solcher Verfahren gesenkt werden. Der Streitwert der Klage darf ohne Zinsen, Kosten und Auslagen zum Zeitpunkt des Eingangs beim zuständigen Gericht 2000 EUR nicht überschreiten. Ein im Rahmen dieses Verfahrens ergangenes Urteil wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. Das Verfahren ist fakultativ und stellt eine zusätzliche Alternative zu den im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehenen Möglichkeiten dar. Es gilt ab dem 1. Januar 2009 in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks.

EINLEITUNG DES EUROPÄISCHEN VERFAHRENS FÜR GERINGFÜGIGE FORDERUNGEN

Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, in dem kein Anwaltszwang besteht, ist in mehrere Abschnitte gegliedert:

Klageerhebung. Beträgt der Streitwert der Klage weniger als 2000 EUR, leitet der Kläger das Verfahren für geringfügige Forderungen direkt beim zuständigen Gericht ein. Die Verordnung gibt in Anhang I ein Klageformblatt A vor, auf dem die Art der Streitigkeit, der geforderte Betrag usw. anzugeben sind. Dieses Formblatt ist auf einem der Übermittlungswege, die in dem Mitgliedstaat, in dem das Verfahren eingeleitet wird, zulässig sind, einzureichen. Fällt die erhobene Klage nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (siehe weiter unten), hat das Gericht den Kläger hierüber zu unterrichten. Nimmt der Kläger die Klage nicht zurück, so verfährt das Gericht mit ihr nach Maßgabe des Verfahrensrechts des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren durchgeführt wird.

Korrektur und/oder Berichtigung der Klage. Sind die Angaben des Klägers unzureichend, sendet das Gericht das Formblatt B (Anhang II) an den Kläger und fordert ihn auf, seine Klage zu vervollständigen und/oder zu berichtigen. Es setzt ihm hierfür eine Frist. Berichtigt und/oder korrigiert der Kläger seine Klage innerhalb dieser Frist nicht, wird die Klage durch das Gericht zurück- bzw. abgewiesen. Dasselbe gilt, wenn die Klage offensichtlich unbegründet oder offensichtlich unzulässig ist.

Zustellung an den Beklagten. Nach Eingang des ordnungsgemäß ausgefüllten Klageformblatts füllt das Gericht seinerseits ein an den Beklagten gerichtetes Antwortformblatt (Formblatt C, Anhang III) aus. Dieses Formblatt C ist dem Beklagten zusammen mit einer Kopie des Klageformblatts und gegebenenfalls der Beweisunterlagen innerhalb von 14 Tagen zuzustellen. Die Zustellung der Unterlagen erfolgt durch Postdienste mit datierter Empfangsbestätigung.
Frist von dreißig Tagen für den Beklagten. Der Beklagte seinerseits hat innerhalb einer Frist von dreißig Tagen zu antworten. Diese Frist beginnt mit dem Datum der Zustellung des vorgenannten Formblatts.

Übermittlung der Antwort des Beklagten an den Kläger. Innerhalb von 14 Tagen nach Eingang der Antwort des Beklagten ist eine Kopie der Antwort gegebenenfalls zusammen mit etwaigen als Beweismittel geeigneten Unterlagen an den Kläger abzusenden.

Eine etwaige Widerklage, die vom Beklagten mittels Formblatt A erhoben wird, wird dem Kläger auf dieselbe Weise zugestellt wie dem Beklagten (siehe weiter oben). Der Kläger hat auf eine etwaige Widerklage innerhalb von 30 Tagen zu antworten. Überschreitet die Höhe der Widerklage die Wertgrenze von 2000 EUR, so werden die Klage und die Widerklage nach Maßgabe des Verfahrensrechts des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren durchgeführt wird, behandelt (und nicht nach dem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen).

Erlass eines Urteils innerhalb von 30 Tagen. Innerhalb von 30 Tagen, nachdem die Antworten des Beklagten oder des Klägers (im Falle einer Widerklage) eingegangen sind, hat das Gericht ein Urteil zu erlassen. Es kann jedoch die Parteien innerhalb einer Frist, die 30 Tage nicht überschreiten darf, zu weiteren Angaben auffordern. Es kann ferner beschließen, eine Beweisaufnahme durchzuführen oder die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung vorzuladen (siehe weiter unten). Diese mündliche Verhandlung hat innerhalb von 30 Tagen nach der Vorladung stattzufinden. In diesem Fall erlässt das Gericht sein Urteil entweder innerhalb von 30 Tagen nach einer mündlichen Verhandlung oder nach Vorliegen sämtlicher Entscheidungsgrundlagen. Antworten die Parteien innerhalb der gesetzten Fristen nicht, so erlässt das Gericht dennoch zu der Klage oder der Widerklage ein Urteil. Das Urteil wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt. Keinesfalls darf das Urteil im Vollstreckungsmitgliedstaat in der Sache selbst nachgeprüft werden. Auf Antrag einer Partei und ohne zusätzliche Kosten füllt das Gericht das Formblatt D in Anhang IV aus, mit dem bescheinigt wird, das ein Urteil ergangen ist.

Beweisaufnahme. Das Gericht bestimmt die Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme, die für sein Urteil erforderlich sind. Es wählt das einfachste und am wenigsten aufwändige Beweismittel.

Vollstreckung des Urteils. Die Vollstreckung des Urteils erfolgt gemäß den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Vollstreckungsmitgliedstaats. Die Partei, die die Vollstreckung beantragt, legt eine Ausfertigung des Urteils und der Bestätigung (das vorgenannte Formblatt D) sowie eine Übersetzung dieser Bestätigung in die Amtssprache(n) des Vollstreckungsmitgliedstaats vor. Überdies gilt, dass von der Partei nicht verlangt werden darf, dass sie im Vollstreckungsmitgliedstaat über einen bevollmächtigten Vertreter oder über eine Postanschrift außer bei den Vollstreckungsbeamten verfügt. Die Behörden dürfen vom Kläger weder aufgrund seiner Eigenschaft als Ausländer, noch wegen des Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts im Vollstreckungsmitgliedstaat eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung verlangen.

ABLEHNUNG DER VOLLSTRECKUNG DES URTEILS UND MÖGLICHE RECHTSMITTEL


Die Vollstreckung des Urteils kann durch das Gericht im Vollstreckungsmitgliedstaat auf Antrag des Beklagten abgelehnt werden, wenn:

  • das Urteil mit einem früheren, zwischen denselben Parteien wegen desselben Streitgegenstandes ergangenen Urteil unvereinbar ist;
  • das frühere Urteil im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangen ist oder die Voraussetzungen für die Anerkennung im Vollstreckungsmitgliedstaat erfüllt und
  • die Unvereinbarkeit im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen nicht geltend gemacht wurde und nicht geltend gemacht werden konnte. Hat eine Partei ein im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil angefochten, oder hat eine Partei eine Überprüfung eines solchen Urteils beantragt, so kann die zuständige Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat zudem das Vollstreckungsverfahren auf Sicherungsmaßnahmen beschränken, die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen oder unter außergewöhnlichen Umständen das Vollstreckungsverfahren aussetzen. Die Rechtsmittel gegen ein im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil unterliegen dem Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten haben der Kommission bis zum 1. Januar 2008 mitzuteilen, ob ihr Verfahrensrecht ein Rechtsmittel zulässt und bei welchem Gericht das Rechtsmittel einzulegen ist. Die Kommission macht diese Informationen über das Amtsblatt der Europäischen Union und durch alle anderen geeigneten Mittel zugänglich. Der Beklagte ist berechtigt, bei dem Gericht, das das Urteil erlassen hat, eine Überprüfung des Urteils zu beantragen, sofern:
  • ihm das Klageformblatt oder die Ladung zur Verhandlung ohne persönliche Empfangsbestätigung zugestellt wurde;
  • die Zustellung ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung hätte treffen können;
  • der Beklagte aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, das Bestehen der Forderung zu bestreiten. In jedem Fall hat der Beklagte schnell zu reagieren. Ist die Überprüfung gerechtfertigt, ist das ursprüngliche Urteil nichtig.

Aufgaben der Gerichte und Bestimmungen in Bezug auf Sprachen, mündliche Verhandlungen und Kosten

Das Gericht verpflichtet die Parteien nicht zu einer rechtlichen Würdigung der Klage und hilft ihnen bei einer gütlichen Einigung. Es unterrichtet die Parteien erforderlichenfalls über Verfahrensfragen.

Sprachen und Übersetzungen. Die Klage ist in der Sprache oder den Sprachen des angerufenen Gerichts vorzulegen. Diese Sprachen sind auch für die Antwort, etwaige Widerklagen, die Beschreibung der Beweisunterlagen usw. zu verwenden. Werden dem Gericht andere Unterlagen in einer anderen Sprache vorgelegt, kann es eine Übersetzung anfordern, wenn diese für den Erlass des Urteils erforderlich erscheint. Es kann geschehen, dass eine Partei die Annahme eines Schriftstücks ablehnt, das in einer Sprache, die sie nicht versteht, oder in einer anderen als der bzw. den Amtssprache(n) des Mitgliedstaats, in dem die Zustellung erfolgen soll, abgefasst ist. In diesem Fall setzt das Gericht die andere Partei davon in Kenntnis, damit diese eine Übersetzung des Schriftstücks vorlegt.
Mündliche Verhandlungen. Das mit einem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen befasste Gericht hält eine mündliche Verhandlung ab, wenn es diese für erforderlich hält oder wenn eine der Parteien einen entsprechenden Antrag stellt. Das Gericht kann einen solchen Antrag jedoch ablehnen, wenn ein faires Verfahren offensichtlich auch ohne mündliche Verhandlung sichergestellt werden kann. Die mündliche Verhandlung kann über Video-Konferenz oder unter Zuhilfenahme anderer Mittel der Kommunikationstechnologie stattfinden.
Kosten. Die unterlegene Partei trägt die Kosten des Verfahrens.

ANWENDUNGSBEREICH DER VERORDNUNG

Das europäische Verfahren gilt für grenzüberschreitende Rechtssachen, das heißt, Rechtssachen, bei denen mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts hat. Der Wohnsitz wird gemäß der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bestimmt. Das angerufene Gericht wendet das Recht dieses Gerichts an, um festzustellen, ob eine Partei ihren Wohnsitz in demselben Staat hat. Hat eine Partei ihren Wohnsitz nicht in dem Staat, dessen Gerichte angerufen wurden, wendet das Gericht das Recht des anderen Mitgliedstaats an, um den Wohnsitz zu bestimmen (Artikel 59 dieser Verordnung). Handelt es sich um Gesellschaften und juristische Personen, haben diese ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Artikel 60).
Die Verordnung gilt nicht für Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates („acta jure imperii"). Ferner ist sie nicht anzuwenden auf:

  • den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen
  • die ehelichen Güterstände, das Unterhaltsrecht und das Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts Konkurse, Verfahren im Zusammenhang mit der Abwicklung zahlungsunfähiger Unternehmen oder anderer juristischer Personen, gerichtliche Vergleiche, Vergleiche und ähnliche Verfahren
  • die soziale Sicherheit
  • die Schiedsgerichtsbarkeit
  • das Arbeitsrecht
  • die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen, mit Ausnahme von Klagen wegen Geldforderungen, oder
  • die Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verletzung der Ehre.

Schlussbestimmungen

Die Europäische Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss bis zum 1. Januar 2014 einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor. Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt.
Die Verordnung gilt ab dem 1. Januar 2009 in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks. Artikel 25 der Verordnung, der die Übermittlung von Informationen (zuständige Gerichte, mögliche Rechtsmittel usw.) durch die Mitgliedstaaten an die Kommission vorsieht, gilt ab dem 1. Januar 2008.

Hintergrund

Die Verordnung geht auf das Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert zurück. Der Vorschlag (COD/2005/0020), der zur Annahme dieser Verordnung im Mitentscheidungsverfahren geführt hat, wurde am 15. März 2005 von der Europäischen Kommission vorgelegt.

Quelle: www.europa.eu

Veorodnung (EG) Nr. 861/2007